4 Konflikte
Die Ansprüche an Texte, beziehungsweise die Forderungen an diejenigen, die Texte verfassen, werden mehr und komplexer – und sind nicht immer leicht zu vereinbaren. Die Vorgaben von unterschiedlichen Interessensgruppen sind widersprüchlich bis unvereinbar und machen textliche Entscheidungen in vielen Fällen nicht unbedingt leichter.

Viele Ansprüche
Aktuell stehen mindestens die folgenden Ansprüche im Raum: Texte sollen kurz und knapp das Wesentliche darstellen, dabei leicht und in möglichst einfacher Sprache verfasst sein, dazu ebenso rechtssicher formuliert wie barrierefrei aufbereitet und geschlechtergerecht gegendert. Authentisch und individuell sollen sie die Corporate Identity einer Organisation transportieren, im Netz müssen Texte suchmaschinenoptimiert sein und Usability-Regeln genügen. Im Bildungsbereich müssen Texte den Bildungsauftrag betonen. Und überhaupt sollen Texte zielgruppen- oder milieuorientiert Menschen bei Ihren Anliegen abholen.

4 Ziel-Konflikte beim Schreiben und Texten
Damit sind einige Ziel-Konflikte verbunden. Ich greife hier vier heraus:

1. Kurz und suchmaschinenoptimiert? Kurz und knapp auf den Punkt sollen Texte kommen, so tönt es allerorten. Die Aufmerksamkeitsspanne der Leserinnen und Leser sollen Texte bitte nicht überstrapazieren. Das ist die eine Seite. Google andererseits honoriert es, wenn Websites und Unterseiten mehr Text enthalten, ausführlicher auf Themen eingehen, umfassende Hintergrundinfos bereitstellen.

2. In Leichter Sprache und gegendert? Der Zielkonflikt zwischen Verständlichkeit und Sichtbarkeit ist bereits öfter beschrieben. Christiane Maaß fordert zum Beispiel: „Verständlichkeit schlägt im Zweifelsfall andere Kriterien (wie z.B. eine geschlechtergerechte Sprache)“. Prüfgruppen sehen das mittlerweile etwas entspannter. Aber auch die Position des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes dazu ist wichtig.

3. Einfach und leicht oder der CI entsprechend? Faustregel: Je einfacher die Sprache, desto uniformer das Ergebnis. Die Regeln für Leichte Sprache sind klar und eindeutig, lassen wenig Spielraum für Extras. Für das sogenannte „Corporate Wording“ ist das eine Herausforderung.

4. Zielgruppenorientiert oder auf das Umsatzsteuerrecht abgestimmt? Endlich sind die staubigen Zielplanungs-Formulierungen aus Ausschreibungen verschwunden, da sollen sie aus berechtigter Angst vor Umsatzsteuerpflicht wieder eingebaut werden. Um nicht in den Verdacht zu geraten, nur „Spaß“ und keine „Bildung“ verkaufen zu wollen, wird der Text sicherheitshalber um pädagogische Aussagen erweitert – und schreckt dann die Zielgruppe ab.

Mit diesem kurzen Überblick will ich Sie nicht entmutigen. Natürlich lässt sich vieles in Einklang bringen, zum Beispiel durch Texten in Häppchen und geschickte Struktur. Aber: Es erfordert Abwägung, Zeiteinsatz und Abstimmung. Wenn es Ihnen also wieder einmal schwer fällt, einen Zielkonflikt zu lösen, dann seien sie freundlich zu sich selbst. Es liegt nicht an Ihnen.
Gerne unterstütze ich Sie auch im kommenden Jahr bei Zielkonflikten und Textanliegen.

1 Liebeserklärung
Hauptsätze nutzen, Satzklammer mit trennbaren Verben meiden, Fremdwörter nur in Maßen: Alles richtig – und genau das trainieren wir in einer TextWerkstatt. Zugleich hat die deutsche Sprache aber auch liebenswerte Eigenschaften: Sie kann Komplexität in Hypotaxen darstellen, sie nimmt sich Wortstellungsfreiheiten heraus und kann so viele Nuancen ausdrücken. Für alle, die auch das zu würdigen wissen, ist gerade eine Liebeserklärung an die deutsche Sprache erschienen. Für mich der Geschenk-Tipp für Weihnachten.
Roland Kaehlbrandt, Deutsch. Eine Liebeserklärung. Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache. Piper Verlag 2022

1 Todesfall
Eine Instanz, die beim Abwägen von Zielkonflikten und bei textlichen Entscheidungen hilfreich war, ist im November verstorben: Wolf Schneider, Autor, Sprachkritiker, Leiter der Hamburger Journalistenschule. Von ihm stammt zum Beispiel der lehrreiche, treffende und herausfordernde Satz „Adjektive sind Wörter mit ziemlich wenig guten Eigenschaften“. Ein Satz, für den ich sehr dankbar bin, weil er mich immer wieder an meine eigene Schwäche für die Häufung von Adjektiven erinnert. Wolf Schneider war dabei gerade kein moralisierender Sprachkritiker, sondern ein echter Praktiker. Er wird fehlen.